Was haben wissenschaftliches Schreiben, Journaling und kreatives Schreiben gemeinsam?

Die 5 Funktionen des Schreiben

Wir lieben den Namen unserer Website. Es ist die passende Antwort auf viele Fragen des Lebens: schreib drüber! 

Denn Schreiben ist so vielseitig, dass es sich immer lohnt, zuerst den Stift in die Hand zu nehmen. Es ist hilfreich, die Gedanken, die man sich macht, aufzuschreiben. Oder Fragen auf Papier zu beantworten. Oder Ideen schriftlich festzuhalten und auszuprobieren, wie sie funktionieren könnten. Oder Projekte schriftlich zu planen. Schreiben ist ein wunderbares Mittel, um sich bei Entscheidungen mit den wichtigsten Punkten auseinanderzusetzen. Und letztendlich ist Schreiben auch ein Instrument, um sich mit neuem Wissen zu beschäftigen und dieses zu vertiefen. 

Hierin zeigt sich schon, dass Schreiben mehr als eine Funktion hat. Die Schreibforscherin Katrin Girgensohn hat in ihrer Doktorarbeit aus Gesprächen mit Studierenden diese 5 Funktionen des Schreiben herausgearbeitet. Diese Funktionen spiegeln für uns genau das wieder, was Schreiben für uns bedeutet.

Die 5 Funktionen des Schreiben sind 

  1. Die rhetorische Funktion – Schreiben zum Mitteilen
  2. Die heuristische Funktion – Schreiben zum Denken
  3. Die hedonistische Funktion – Schreiben zum Genießen
  4. Die persönlichkeitsförderndes Funktion – Schreiben zum Wachsen
  5. Die kommunikative Funktion – über das Schreiben austauschen

 

1. Die rhetorische Funktion – Schreiben zum Mitteilen 

Wir kennen das Schreiben wohl vor allem in seiner rhetorischen Funktion. Dies bedeutet, dass das Schreiben dafür eingesetzt wird, um etwas bestimmtes mitzuteilen. Es geht bei diesem Schreiben darum, andere Menschen zu informieren, das eigene Wissen weiterzugeben. Das kann eine Klausur sein, in der wir zeigen, was wir wissen und können. Das ist aber auch der Brief, mit dem wir Menschen über einen Sachverhalt informieren oder der Familie über unser Leben berichten. Das ist der Projektbericht auf Arbeit, die E-Mail an die Eltern einer Klasse oder auch eine Textnachricht an eine Freundin. Zum rhetorischen Schreiben gehört auch das Verfassen von Sachbüchern oder wissenschaftlichen Texten. 

Dieses Schreiben findet also immer in einer Kommunikationssituation statt. Das bedeutet, es richtet sich immer an andere Menschen. Wir haben eine Leserschaft. Und diese Leserschaft hat je nach Kommunikationssituation auch bestimmte Erwartungen daran, wie wir diesen Text strukturieren und uns ausdrücken.

Beim rhetorischen Schreiben verwenden wir also bestimmte rhetorische Mittel wie eine Anrede im Brief, ein Argument im Projektantrag, eine Einleitung im Bericht.

Übung zum rhetorischen Schreiben:

Schreib einen Brief oder eine E-Mail an eine Freundin oder einen Freund. Erzähle ein wenig von deinem Leben, was gerade los ist und wie es dir geht. 

Achte dabei bewusst darauf, was du tust, um deinen Text zu schreiben. Wie sieht deine Sprache dabei aus? 

Weitere Blogbeiträge über Textformen, mit denen wir kommunizieren:

„Welttag des Briefeschreibens. Wir feiern am 1.9. das handschriftliche Schreiben von Briefen.“

Poesie für Weihnachten

„5 Wege, um tolle Texte zu schreiben. Schreiben mit verschiedenen Schreibstrategien“

„Gute Reise und schenk ein Lächeln. Postcrossing zum Welttag der Postkarte“ 

 

2. Das heuristische Schreiben – Schreiben zum Denken

Schreiben ist ein Denkwerkzeug. Und ist damit eine der Funktionen des Schreiben. Das Schreiben oder der Text hat hier nicht die Funktion, sich an andere Menschen zu richten. Diese Texte sind nur für die schreibende Person selbst gedacht. Wenn wir über ein Thema schreiben, dann vertiefen wir das Wissen dazu durch das Schreiben. Du kennst das bestimmt noch aus der Schule, der Ausbildung oder dem Studium: Die meisten lernen für ihre Prüfungen, indem sie die wichtigsten Lerninhalte aufschreiben. Sie machen sich Notizen, schreiben Wörter und Erklärungen auf Karteikarten oder schreiben Zusammenfassungen auf. 

Das heuristische Schreiben kannst du also anwenden, um dir etwas einzuprägen, um über etwas nachzudenken und zu schauen, was du schon darüber weißt oder denkst. 

Um Wissen zu wiederholen, ist Schreiben also schon mal ziemlich genial. 

Noch viel genialer ist es, Schreiben zu nutzen, um etwas zu verstehen. Schreibst du nämlich über ein Thema, verstehst du es besser, weil du versuchst alles in Worte zu fassen, sinnvolle Sätze zu formulieren und diese Sätze in eine passende Reihenfolge zu bringen. Die Gedanken bekommen eine Form. 

Und wenn du dir dann noch etwas mehr Zeit nimmst, so 15 Minuten, passiert das: Bei einem freien Schreiben von dieser Dauer wird vielmehr das Langzeitgedächtnis angezapft. Du kannst es dir so vorstellen, dass wir irgendwie tiefer graben und das vor längerer Zeit gespeicherte Wissen an die Oberfläche kommt. Im Schreiben verbindet sich dann das neue Wissen mit deinem gespeicherten Wissen. Und darüber entstehen dann so etwas wie Heureka-Momente. Plötzlich verstehst du etwas genauer oder du erkennst etwas wieder. 

Da Schreiben genau so ein Werkzeug der Erkenntnisse sein kann, lohnt es sich auch zu schreiben, wenn du auf der Suche nach Ideen bist. Du kennst sicherlich das Brainstorming. Häufig wird diese Technik in einer Gruppe verwendet, um gemeinsam Ideen zu sammeln. Aber allein kann man sich im sog. Brainwriting schreibend von einer Idee zur nächsten tragen lassen. Es geht darum, das Schreiben sehr frei zu nutzen und sich selbst nicht zu zensieren. Das heißt, du schreibst wirklich alle Ideen und Gedanken auf, die dir in den Kopf kommen. So tauchen nach und nach sinnvolle und weniger sinnvolle Ideen auf und irgendwo darin versteckt sich dann die geniale Idee. 

Übung zum heuristischen Schreiben:

Probiere das freie Schreiben aus. Nimm dir dafür Stift, Papier und einen Timer von 10 Minuten. 

a) Schreiben, um zu verstehen: Schreibe 10 Minuten lang über die Gefahren und den Nutzen von KI beim Verfassen von Texten. Schreib die ganze Zeit durch bis der Timer die Zeit beendet. Setze den Stift nicht ab, sondern lass die Hand in Bewegung und schreib einfach ohne dich zu zensieren, ohne dich zu berichtigen.

Schau dir nach den zehn Minuten deinen Text an. Hattest du Aha-Momente? An welches Wissen konntest du anknüpfen? Worüber müsstest du dich informieren, um genauer darüber nachdenken zu können?

b) Brainwriting für neue Einfälle: Sammle spontane Ideen für eine Geschichte. Auch hier ist es sinnvoll die Zeit bis zum Ende durchzuschreiben.

Noch mehr Blogartikel mit Ideen zum Brainwriting, Journaling und schreibenden Denken:

„Fun Facts about me als Journaling-Liste. Listen schreiben als besondere Kurzform des Journaling.“

„Schritt für Schritt ins Schreiben kommen – so überwinden Sie Ihre Schreibblockade.“ 

 

3. Das hedonistische Schreiben – Schreiben zum Genießen

Wenn du auf unseren Blog gestoßen bist, dann ist dir das hedonistische Schreiben bestimmt vertraut. Für uns ist es genau dieses Schreiben, was unser Leben am meisten prägt. Schreiben ist eine Freude für uns. Wir genießen das Schreiben, es macht uns einfach Spaß und glücklich. Und so ist tatsächlich die Freude am Schreiben auch eine der 5 Funktionen des Schreiben.

Für uns ist Schreiben unser kreative Ausdruck. Es ist eine Tätigkeit, in die wir uns fallen lassen können. Hierbei können wir Flow erleben, mit Worten spielen, unsere Sprache erkunden…

Die Freude kann für jede Person anders aussehen. So kann sich das hedonistische Schreiben beim Schreiben im Tagebuch zeigen. Oder es ist wie bei uns: Es macht Spaß, kreative Schreibübungen auszuführen, wie eine Geschichte zu zufällig gefundenen Gegenständen zu schreiben oder Gedichte mit einer bestimmten Form zu verfassen. Andere wiederum vergnügt es, sich ihrem Roman oder ihrer Erzählung hinzugeben. Und ja, es gibt auch Menschen, die Spaß daran haben, einen wissenschaftlichen Text zu verfassen. 

Übung zum hedonistischen Schreiben:

 

Schreib eine kurze Geschichte zu diesem Bild.

 

Noch mehr Blogbeiträge von uns zum genussvollen Schreiben:

„Schreiben in der Stille“

„Achtsam schreiben zu den 4 Elementen“ 

„Mit Gedichten das Leben verstehen – der Weltpoesietag“

 

4. Das persönlichkeitsförderndes Schreiben – Schreiben zum Wachsen

Die Schreibforscherin Katrin Girgensohn stellt in ihrer Doktorarbeit heraus, dass sich Menschen durch das Schreiben auch in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln. Sie schreibt daher dem Schreiben auch diese Funktion zu. 

Schreiben von Texten, Schreiben für uns und für andere, kreatives oder wissenschaftliches Schreiben können uns verändern. Es führt dazu, dass wir uns selbst besser verstehen. Wir erkennen, was wir alles können, wir entdecken Zusammenhänge, können uns selbst schreibend reflektieren, unsere eigenen Gedanken und Verhaltensweisen betrachten und uns als denkende Menschen mit einer kritischen Stimme wahrnehmen. Und ja, natürlich entwickeln wir uns dabei immer auch als Schreibende weiter, unsere Schreibkompetenz entwickelt sich. 

Allein schon die Erfahrung des Schreibens selbst bewirkt etwas in uns. Wir lernen, was uns beim Schreiben von Texten gelingt oder was wir noch üben können. Oder zumindest wissen wir danach, wie es sich anfühlen kann, einen Text in einer bestimmten Form zu verfassen. 

Wir können uns diese Funktion des Schreiben ganz bewusst zunutze machen: Wenn wir Tagebuch schreiben, dann können wir ganz bewusst in Kontakt mit uns selbst kommen, um uns besser kennenzulernen, unsere Gefühle und Erfahrungen zu verarbeiten. Wenn wir Gedichte schreiben.

, dann nehmen wir Abstand vom Alltag, wir wagen eine künstlerische Sprache und können anders auf uns selbst schauen. Wenn wir sachliche oder wissenschaftliche Texte schreiben, dann können wir uns über Sachverhalte informieren, sie durchdringen und darauf basierend eine eigene Haltung entwickeln. Gleichzeitig erarbeiten wir uns eine Sprache, um unsere Meinung diesbezüglich auszudrücken.

Übung zum persönlichkeitsfördernden Schreiben: 

a) Schreibe deine Schreib-Biografie auf. Halte fest, wie und wann du Schreiben gelernt hast, was du schon alles schreiben musstest oder schreiben wolltest – in der Schule, in der Freizeit, in der Ausbildung oder im Studium, bei der Arbeit. Notiere jeweils, was du dabei als Mensch über dich selbst oder über einen Sachverhalt gelernt hast. Und liste auf, was deine Stärken beim Schreiben sind. Was kannst du gut in Bezug auf das Verfassen von Texten?

b) In einer Anapher kannst du ergründen, was Schreiben für dich bedeutet. Eine Anapher ist ein Anfangsreim und hier sogar prägend für die Gedichtform: Jede Zeile beginnt mit den gleichen Worten. Dadurch entsteht beim Schreiben ein Rhythmus, der dabei helfen kann, sich ganz in das Thema zu vertiefen. 

Nimm den Satzanfang Schreiben ist für mich und vervollständige ihn zehn mal.  Schreibe diese Sätze untereinander, so in etwa:

Schreiben ist für mich ein Geschenk

Schreiben ist für mich ein Spiel mit Worten

Schreiben ist für mich ein Schlüssel zur Welt

Schreiben ist für mich auch mal herausfordernd

 

Dieses persönlichkeitsfördernde Schreiben liegt uns ebenfalls sehr am Herzen. Darum haben wir schon verschiedene Beiträge zu diesem Thema hier veröffentlicht, z.B.

„Tagebuch schreiben, Selbstwertgefühl steigern!“ 

„Ehrlich schreiben im Journal“ 

„Mein liebes Tagebuch“ war gestern – 5 gute Gründe, warum Ihnen tägliches Schreiben hilft 

„Wie mir kreatives Schreiben hilft, gelassener zu sein – und wie Sie das auch nutzen können“ 

5. Das kommunikative Schreiben – über das Schreiben austauschen

Und dann gibt es noch die Momente, in denen Schreiben uns miteinander verbindet und wir darüber kommunizieren, z.B. in Schreibgruppen, in Workshops, in Foren, auf Lesungen… Der Austausch über das Schreiben umfasst für uns alle vorher beschriebenen Funktionen: Andere an den eigenen Texten teilhaben zu lassen, ihre Reaktionen wahrzunehmen und über das eigene Schreiben zu reden, das alles lässt uns weiter lernen und reflektieren und auch unsere Liebe zum Schreiben vertiefen. 

Diese Funktion empfinden wir also als sehr wertvoll. Jedoch wird sie viel zu selten gefördert oder bewusst ausgelebt. Lass uns das genauer betrachten:

Menschen, die einen Text schreiben müssen oder auch gern schreiben, tun gut daran, über ihr Schreiben zu reden. Man kann sich darüber austauschen, was man schreibt, warum man es mag oder nicht mag, wie man vorgeht, was einem schwerfällt und was man dabei braucht, was einen motiviert… Indem wir den anderen erklären, was uns beschäftigt, lernen wir etwas über uns und unser Schreiben. Gleichzeitig erfahren wir, wie es den anderen Schreibenden geht.

Und wir tauschen Wissen aus, vermitteln etwas und nehmen wieder etwas auf. So erfahren wir zum Beispiel von einer Schreibtechnik, die wir noch nicht kannten. Oder wir können jemand anderem einen Tipp geben, für den dann dieser dankbar ist. Gleichzeitig verbinden wir uns mit den Menschen. 

In unseren Kursen zum Schreiben gehört der Austausch darum ganz selbstverständlich dazu. Und wir hören immer wieder, wie wertvoll es für alle Teilnehmenden ist, über die eigenen Texte und auch über Schreibprozesse zu sprechen. Es beflügelt sie, inspiriert sie oder ermutigt sie. Oder es zeigt ihnen einfach, dass sie nicht allein sind mit ihren Fragen und Problemen. Gerade Schreibliebende fühlen sich dann einer Gemeinschaft zugehörig. 

Übung zum kommunikativen Schreiben:

Schreib uns einen Kommentar darüber, was dich beim Schreiben bewegt und was Schreiben für dich bedeutet. Besuche eine Schreibgruppe und erlebe, wie es ist, gemeinsam zu schreiben, einander vorzulesen und zu quatschen.

Möchtest du noch mehr über die Vielfältigkeit des Schreibens erfahren, dann stöbere gern auf unserer Website: Hinter jedem Kapitel haben wir dir Blogbeiträge mit noch mehr Ideen verlinkt. In unserem Bücherregal findest du auch Sachbuch- und Romanempfehlungen zu allen möglichen Funktionen des Schreibens. 

Möchtest du das Schreiben vielfältig erleben und zu einem Lebensbegleiter machen, dann probiere die Funktionen des Schreibens für dich aus. Erlebe selbst, wie unterschiedlich sich das Schreiben anfühlen kann und wann du das Schreiben für dich nutzen möchtest.

Also: schreib drüber!

Jana und Nora

Quellen:  
Girgensohn, Katrin: Neue Wege zur Schlüsselqualifikation Schreiben. Autonome Schreibgruppen an der Hochschule. Wiesbaden VR Sozialverlag 2007.
Heimes, Silke: Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012.
Jakob, Ramona: Poesie ist Lebenstanz. Warum es sich lohnt, Gedichte zu schreiben. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2017. (mehr über das Buch erfährst du hier im Bücherregal)