Es ist der Tag der Gedichte, der Lyrik. Am 21. März ist Weltpoesietag. Und dieser Tag ist uns Anlass, über das Wunder des Poetischen zu schreiben. In diesem Blogpost möchten wir unserer Liebe zu Gedichten Ausdruck verleihen und Sie auf Lyrikerinnen aufmerksam machen. Wir möchten Sie zum Lesen von Gedichten anregen und zum Verdichten des eigenes Lebens motivieren. Warum? Gedichte sind ein Wunderwerk des Schreibens, Gedichte sind für uns eine besondere Form der Texte. In wenigen Worten werden Gefühle, Ereignisse, Sichtweisen, Erfahrungen, Augenblicke auf den Punkt gebracht. Und doch bieten sie Raum zum Nachdenken, Phantasieren, Assoziieren. Mit Metaphern lassen Gedichte Bilder im Kopf entstehen und reichen mit ausgewählten Worten an unser Herz heran.
Lesen Sie Gedichte!
Uns berühren Gedichte. So wie dieses:
Maria Janitschek (1859 – 1927) ist eine Lyrikerin, die wir gerade erst hier entdeckt haben. Manchmal ergreifen uns Gedichte einfach, spenden uns aber auch Trost oder geben uns Weisheit. Gedichte können aber auch beflügeln, anregen und mitreißen. Das zeigt sich vielleicht in dem Trend des Poetry-Slams und in Erfolgen wie dem von Julia Engelmann und ihren Versen. Bei ihr kann man Gedichte nicht nur lesen, sondern auch sehen.
Vertont hat ihre Gedicht auch die Berliner Lyrikerin Ulrike Almut Sandig. Auf der Website lyrikline.org können Sie noch mehr Gedichte von ihr und anderen Poeten und Poetinnen lesen und von ihnen selbst vorgetragen bekommen. www.lyrikline.org/de/gedichte/war-himmel-5648 So lassen sich Gedichte ganz neu erfahren. Gedichte zu lesen, zu hören und sie in sich aufzunehmen, bereichert uns. Es sind Momentaufnahmen, das Festhalten des Augenblicks und doch erzählen sie ganze Leben. So ist es für uns tröstend und wohltuend, berührend und aufrüttelnd, uns in den Wortwelten von Mascha Kaleko, Else Lasker-Schüler, Ingeborg Bachmann, Eva Strittmatter, Ulla Hahn oder Rupi Kaur zu verlieren. Die Gedichte von Gioconda Belli und Margaret Atwoods strotzten vor Kraft und Leidenschaft und wühlen uns eher auf.
Denn Gedichte erzählen nicht nur, sie bieten auch Platz für die Leben der Lesenden. Ja, sie fordern uns Lesende heraus. Ulla Hahn meint in dem Gedicht „Was bewirkt ein Gedicht“, dass Gedichte langsam wirken sollen und aufdecken sollen und etwas bewegen sollen in uns. In ihrem Gegengedicht „Dichterlesung“ spricht sie gar von einem Wellengang und Zurückschwingen der Worte zwischen Sprechendem und Hörenden (beide aus dem Gedichtband: Wi(e)derworte). Angela Krauß sprach in einer Lesung zu ihrem Gedichtband „Eine Wiege“ ebenfalls darüber. Diesen Gedichtband hat sie selbst so gestaltet, dass die Seiten mit ihrem Leerraum, mit ihrem Weiß dazu einladen, als Leserin wie eine Besucherin in das Gedicht einzutreten, mit den eigenen Lebenserfahrungen darin zu spazieren und sich hier und da wiederzuentdecken.
Schreiben Sie Gedichte!
Und wenn Sie dann noch weiter gehen, dann spazieren Sie vielleicht in Ihrem eigenen Gedicht. Selbst zum Stift zu greifen, Gedanken und Gefühle zu verdichten, kann heilen und befreien.
Die Lyrikerin Hilde Domin sagte einst in einem Interview: „Wenn der Mensch sehr bedrückt ist, kann ihm Lyrik helfen. Lyrik ist eine größere Entlastung als etwa Prosa. Lyrik kommt mit Blaulicht. Lyrik entsteht mehr aus Leid als aus Freude. Der Mensch kann sich durch das Schreiben von Gedichten befreien. Ich kann es nur vergleichen – obwohl es natürlich etwas anderes ist – mit der Beichte oder dem therapeutischen Gespräch beim Psychiater. Dabei teilen Sie mit, was in Ihnen ist. Bei Lyrik können Sie das noch mehr tun. Ich nenne es eine Gnade, wenn man kreativ werden kann.“ Für sie lag im Schreiben von Gedichten eine Heilkraft; es fühlte sich sogar wie eine zweite Geburt an, als sie mit 39 anfing, Gedichte zu schreiben (s. Interview mit Hilde Domin, Befreiung durch Schreiben abrufbar unter: https://www.ila-web.de/ausgaben/180/befreiung-durch-schreiben). Gioconda Belli schreibt in ihrem Gedicht „Austreibung“ (in dem Gedichtband „In der Farbe des Morgens“), dass Sie schreibt, um sich die ihre Ängste auszutreiben.
Wie sich das Verfassen von Gedichten auf Menschen auswirken kann, hat Ramona Jakob in ihrer Doktorarbeit erkundet. Sie schaute sich an, wie wir uns Lösungen und andere Perspektiven erschreiben können, wenn wir uns mit sprachlichen Bildern beschäftigen und wir in einer poetischen Sprache schreiben. Sie fragt sich, wie die Gedichte Schreibende beeinflussen in Bezug auf ihre Persönlichkeit, ihre Existenz und ihre Umwelt (vgl. Jakob 2017, S. 89). Es zeigt sich, dass uns das Verfassen von Gedichten aus unserer alltäglichen Sprache und Kommunikation sowie aus unserem Alltag entführt. Unsere Gedanken erhalten in dem Gedicht eine Form, wir verwandeln sie in Bilder und Reime und versehen sie mit einem Rhythmus. Das macht etwas mit uns: Wir erblicken die Welt neu und erhalten einen Raum für unsere Vorstellungskraft. Wir können eintauchen in die Sprache, die Worte und die darin vorhandenen Bilder. Wir identifizieren uns damit, gehen in unsere eigene innere Welt, schauen nach Innen und halten für einen Moment inne, legen eine Pause ein. Wir können Abstand gewinnen zu Ereignissen, die uns zu nahe gehen. Gedichte tragen auch dazu bei, dass wir unseren Körper neu spüren, denn Poesie spricht unsere Gefühle an, die Worte, Reime treffen viele von uns auf einer emotionalen Ebene (vgl. Jakob 2017, S. 82).
Nachzulesen ist die Wirkung von Gedichten auch in dem Roman Ich treffe dich zwischen den Zeilen von Stephanie Butland. Ihre Protagonistin hat mit Stage Poetry – also Gedichten für Poetry Slams – einen Kontakt zu ihrer persönlichen Lebensgeschichte gefunden, kann sich so ausdrücken und mitteilen.
Finden Sie Ausdruck und Sicherheit in der Form
Das Haiku ist ein traditionelles japanisches Kurzgedicht, in dem ein Augenblick wie eine Momentaufnahme dargestellt ist. Haikus sind zumeist offen, witzig, klar, mit einem Gegenwartsbezug und einer Pointe. Traditionelle Haikus haben Natur und Jahreszeiten zum Inhalt: Ein konkreter Gegenstand oder eine konkrete Situation stehen dabei symbolhaft für Erlebtes und die damit verbundenen Gefühle. Diese Symbolik ist kulturell geprägt. Japanische Haikus haben eine Form, die sich an den japanischen Silben orientiert. Oft werden sie auch kalligrafisch dargestellt.
Der japanische Dichter Matsuo Bashō hat das Haiku in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einer anerkannten Literaturform geführt. Seit den 1920er Jahren hat sich das Haiku Dank Dichtern wie Rainer Maria Rilke und Arno Holz auch in Deutschland verbreitet. Durs Grünbein schrieb auf diese Weise: „Lob des Taifuns. Reisetagebücher in Haikus“ Frankfurt/Main und Leipzig 2008. Haikus sind sogar Thema und Bestandteil von einigen Romanen, z.B. „Siebzehn Silben Ewigkeit“ von Denis Thériault (2009) oder „Voller Mond“ von David G. Lanoue (2011). Es gibt inzwischen sogar in Deutschland eine Haiku-Gesellschaft, die diese japanische Tradition erforschen, auf unseren Kulturraum übertragen und pflegen möchte u.a. mittels regelmäßiger Haiku-Wettbewerbe, einer Fachzeitschrift, Begegnungen usw. Wahrscheinlich werden wir in unserer westlichen Kultur die Haikus nie in ihrer ganzen Schönheit und Bedeutung verstehen. Aber wir können uns von diesen kleinen Gedichten mit der großen Seele inspirieren lassen.
Die japanische Form lässt sich nur schwer ins Deutsche übertragen. Häufig findet man Haikus auf Deutsch mit der folgenden Form:
Erste Zeile 5 Silben
Zweite Zeile 7 Silben
Dritte Zeile 5 Silben
In unserem Schreiben hat außerdem der Zevenaar (niederländisch „Siebener) einen festen Platz. Das ist ein holländisches Schreibspiel, bei dem ein Gedicht mit sieben Zeilen entsteht. Hier gibt es eine inhaltliche Vorgabe, durch die man etwas ganz fokussiert betrachten kann. Durch Wiederholungen der ersten und letzten Zeile erhalten diese Gedichte einen Rahmen und einen poetischen Klang. Probieren Sie es aus. Da der Zevenaar mit seiner Rahmung an ein Fenster erinnert, nehmen Sie das als Inspiration. Schauen Sie aus dem Fenster und schreiben Sie nach der folgenden Vorgabe in jeder Zeile einen Satz:
1. Zeile: eine Zeit oder ein Ort
2. Zeile: das lyrische Ich und eine Handlung
3. Zeile: eine Frage oder ein Vergleich
4. Zeile: ein Detail wird beschrieben
5. Zeile: das Detail wird noch näher ran gezoomt
6. Zeile: es wiederholt sich die erste Zeile
7. Zeile: es wiederholt sich die zweite Zeile
Die Inspiration in Worten, die Vollendung im eigenen Gedicht
Wenn Sie keine Vorgaben mögen, haben wir hier noch freie Anregungen für Sie: Schreiben Sie ein bis drei Seiten lang hintereinander alles auf, was Ihnen durch den Kopf geht (Freewriting). Lesen Sie dann Ihren Text und stöbern Sie darin herum: Welche Worte entdecken Sie? Welche Sprachspiele packen Sie? Welche Gedanken lassen Sie gerade nicht los? Schreiben Sie die heraus und fügen Sie sie zu einem Gedicht zusammen. Sie können dafür auch Ihre täglichen Tagebuchaufzeichnungen oder Morgenseiten nutzen. Auf diese Weise hat Jana im Nanowrimo-November 2019 etliche Gedichte geschrieben. Die sind nicht immer wunderschön, aber auf jeden Fall zeigen Sie ganz authentisch, was Jana zu der Zeit beschäftigt hat.
Momentan kann einen wirklich vieles beschäftigen, sogar fassungslos und gar sprachlos machen. Auch dann können Gedichte helfen und manchmal muss man sich dafür eben Worte borgen. Sie können aus Zeitschriften und Zeitungen Worte und Sätze ausschneiden und eine Art Collage-Gedicht daraus zusammensetzen. Inspiration finden Sie vielleicht in Gedichten von Herta Müller. Als eine Variante können Sie auch nur Überschriften aus Tageszeitungen nehmen und diese als Gedicht aufreihen. So schaffen Sie sich ein Zeitzeugnis.
Wenn Sie selbst schon Gedichte oder Texte verfasst haben, dann können Sie denen auch neue Gedichte mit Ihren aktuellen Gedanken und Empfingen gegenüber oder an die Seite stellen. So machte es Ulla Hahn in ihrem 2011 erschienenen Gedichtband „Wi(e)derworte“. Wer noch kein Gedicht selbst verfasst hat, kann die eigenen Verse auch denen anderer Autorinnen zur Seite stellen. Suchen Sie nach Schätzen in Ihrem Bücherregal. Lassen Sie sich inspirieren von den hier genannten Autorinnen. Schauen Sie auch im Netz z.B. auf Lyrikline.org. …
Der oben schon erwähnte Gedichtband von Angela Krauß und der Roman von Stephanie Butland hat Jana zu diesem Gedicht über Gedichte inspiriert.
Herzlich Ihre Nora und Jana
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