schreiben in der Dunkelheit

Ehrlich Schreiben im Journal

Während ich dies hier schreibe, ist es draußen nass und kalt. Der Herbst trägt kein Gold mehr, der Winter ist fast da und die Dunkelheit nimmt immer mehr Raum ein. Die Tage sind trüb, die Sonne verabschiedet sich viel zu schnell vom Himmel. In dieser Zeit verdunkeln sich auch immer mal wieder meine Gedanken und Schatten krauchen über meine Seele. Ich ziehe mich zurück und gehe in die Stille. Im Herbst beginnt für mich die Zeit, in der ich Hektik und Menschen nicht mehr gut ertragen kann, doch ist es eine noch arbeitsame Zeit. Und so häufen sich in mir nach und nach unangenehme Gefühle, bin ich angespannt, erlebe Frust und Wut, verliere mich an dunklen Tagen auch in meinen Ängsten.

Dann brauche ich das Schreiben in meinem Journal. Ich versuche meine Gefühle im Schreiben zu ergründen und zu verstehen, was in mir vorgeht. Für mich ist das Schreiben deshalb dabei so bedeutend, da ich hier erstmal für mich diese Gefühle anschauen, alles mit mir selbst besprechen kann und ich die Einzige bin, der ich mich öffnen muss. Bei meinen Gefühlen bin ich eher zurückhaltend und mache die Dinge lieber mit mir alleine aus. Schreiben im Herbst

Schreiben als heilsam erleben

Vielleicht geht es dir da genauso wie mir. Dann ist das Führen eines Journals ein mögliches Hilfsmittel, um die eigenen Gefühle zu verarbeiten. Besonders für zurückhaltende oder introvertierte Menschen ist Schreiben ein heilsamer Weg, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen. Im Schreiben können wir ergründen, was uns bewegt. Wir können diffuse Gefühle in Sprache kleiden: Wir suchen nach den passenden Wörtern und denken so genauer darüber nach. Somit können wir dann die Gefühle besser verstehen. Wir können diese Gefühle auch aus uns heraus schreiben und aufs Papier bannen. Danach können wir sie mit Abstand betrachten, durcharbeiten und mit einem neuen Blick darauf schauen. Und manchmal findet sich dann in der Auseinandersetzung eine Lösung für ein Problem. 

Unangenehme Gefühle frei herauslassen?

Um Schreiben jedoch wirklich als wirksam zu erfahren, muss man den Mut finden, wirklich ehrlich zu sich selbst zu sein. Und gerade bei unangenehmen Gefühlen wie Angst, Wut, Verzweiflung, Sorge, aber vor allem Scham, fällt dies nicht jedem Menschen leicht. Auch wenn es im eigenen Journal passiert, einem Ort, der nur für einen selbst bestimmt ist, trauen sich nicht alle Menschen, hier wirklich ehrlich zu sich zu sein. Das braucht Übung. Sei da auch liebevoll zu dir.

Mir ging es jahrelang so, dass ich mich beim Schreiben im Tagebuch immer wieder fragte: Darf ich das wirklich so hinschreiben? Darf ich das wirklich rauslassen und „aussprechen“? Was ist, wenn das jemand liest? Was denken andere von mir, wenn sie wüssten, wie es wirklich in mir aussieht?

Innehalten im SchreibenMit dieser inneren Stimme beim Schreiben, brachte ich nicht meine ganze Wahrheit aufs Papier und konnte damit den Schritt nicht vollends gehen, Erlebnisse und Gefühle zu verarbeiten und heilen zu können.

den Mut zur Ehrlichkeit finden

Umso mehr suchte ich einen Weg, um mutig genug zu sein, auf dem Papier ehrlich zu mir zu sein und alle Gedanken aufzuschreiben, die mir durch den Kopf gehen. Ich wollte mich meinen Gefühlen wahrhaftig stellen und auch begreifen, dass ich nicht meine Gedanken bin.

Und so möchte ich hier zeigen, welche Varianten des Schreibens für mich funktionieren, um immer ehrlicher auf dem Papier zu werden:

Dialog mit einem Gefühl

Einen Einstieg in die Ehrlichkeit bietet mir das Dialog-Schreiben, also in den Dialog mit meinen Gefühlen zu treten und mich so langsam an sie herantasten. Wenn ich spüre, dass das Gefühl, mit dem ich da schriftlich kommuniziere, noch zurückhaltend ist, dann versuche ich mit etwas provokanteren Fragen herauszukitzeln, was wahrhaftig los ist. Ich fordere es dann heraus, sein wahres Gesicht zu zeigen. 

Oder ich kann das Gefühl erstmal annehmen und trösten, ihm einen sicheren Raum geben und dann schauen, ob es sich mir mehr zeigen möchte.Dialog schreiben

So einen Dialog mit dem Gefühl kannst du erst einmal ganz ruhig und langsam beginnen und zum Beispiel zuerst fragen: 

Hallo Wut, ich spüre, dass du da bist. Was willst du hier? Warum bist du gekommen?

Und dann kannst du weiterfragen, was denn los ist, was die Wut vielleicht gerade so rasend macht. Und wenn du tiefer und ehrlicher werden willst, fragst du: Wie möchtest du dich eigentlich gerade wirklich zeigen wollen? Wie siehst du aus? Was möchtest du jetzt am liebsten tun? Wenn du jetzt alles machen könntest ohne Konsequenzen, was wäre das?

Drüber schreiben

Da ich auch Angst oder Bedenken habe, dass irgendwann mal jemand zufällig mein Journal lesen könnte, bin ich sehr dankbar dafür, dass Jana mir diese Technik gezeigt hat: immer und immer wieder drüber schreiben. Sie hat diese Technik hier kennen gelernt. Du beginnst ganz normal im Journal zu schreiben. Ganz frei lässt du alles raus, was dir durch den Kopf geht, was dich belastet und wenn du eine Seite drüber schreibenvollgeschrieben hast, dann drehst du dein Journal um 90 Grad, sodass die Seite seitlich vor dir liegt. Nun schreibst du frei weiter und zwar über den eben geschriebenen Text. Und schnell wirst du sehen, dass nicht mehr zu erkennen ist, was du da zu Papier gebracht hast. Wenn du die Seite seitlich vollgeschrieben hast, kannst du das Journal wieder drehen, sodass das Blatt nun auf dem Kopf zu dir liegt. Und wieder kannst du über deine Worte schreiben und dann auch noch ein viertes Mal – wieder seitlich. Nun hast du alles rausgelassen und niemand kann mehr nachvollziehen, was da eigentlich steht. 

Das Loslassen und damit das Ehrlich-Sein kommt für mich immer mehr, je mehr ich sehe, dass alles verschwimmt und wirklich nicht mehr gelesen werden kann. 

Verbrennen der eigenen Worte

Um meine Bedenken vollständig zu beruhigen, nehme ich mir auch hin und wieder vor, meinen Text direkt nach dem Schreiben zu verbrennen. Dafür nehme ich mir einzelne Blätter, gern auch irgendwelches Schmierpapier und dann schreib ich frei los. Der Gedanke, dass ich alles danach dem Feuer übergeben kann, hilft mir dabei, mich ganz auf meine Wahrheit zu fokussieren. Auch hässliches Schmierpapier hilft mir schon, nicht darüber nachzudenken, wie das aussieht, dass ich schmieren und ganz unsauber schreiben darf. schreiben verbrennen

Das Feuer danach hat für mich dann auch noch eine weitere reinigende Wirkung, denn ich übergebe meine ehrlichen Gedanken komplett ans Feuer und entlaste mich damit noch ein zweites Mal. 

Wenn es dir geht wie mir, dann probiere aus, was bei dir hilft, dich auf dem Papier ganz zu zeigen. Wie kannst du befreit schreiben, sodass du wirklich rauslässt, was dich bedrückt? Musst du die Worte eher herausfordern? Oder brauchst du die Gewissheit, dass nie jemand das Geschriebene lesen wird? Finde heraus, was dich beim Schreiben vielleicht hemmt und dann versuche, dein Schreiben von diesen Hemmungen zu befreien. Dann wirkt das Schreiben um so heilsamer für dich.

Schreib dich frei

Nora