
Das Lachen der Vergangenheit – die Fassungslosigkeit der Gegenwart.
Wie kann man von Krieg erzählen, Geschichten von Menschen, die um alles kämpfen und so vieles verlieren – ihre Freunde und Familienmitglieder, ihr Zuhause, ihre Heimat, ihre Kultur, sich selbst womöglich. Dieses Buch ist von einer jungen Syrerin geschrieben und erzählt die Geschichten von verschiedenen Menschen, die Syrien verlassen haben oder die trotz Bedrohung dort geblieben sind.
Das besondere ist, dass die Geschichten von Gegenständen erzählt werden: Ein Laptop erzählt davon, wie sich deren Besitzerin durch seine Hilfe mit Verwandten und Freunden überall in der Welt vernetzt. Auf diese Weise können sie für einander da sein, sich gegenseitig auf dem Laufenden halten. Fluch und Segen zugleich, denn indem sie sich virtuell in die Ferne begibt, verschwindet sie aus dem Leben der Menschen an ihrer Seite. Eine Doktorurkunde erzählt von ihrem Platz aus. Sie verstaubt hinter einer Tür und muss mit ansehen, wie das friedliche Zuhause zerstört wird. Eine Oud (traditionelles Musikinstrument) erzählt von der Flucht und wie ihr Spieler sich selbst und seine Kultur verliert. Ein Anzug erzählt von seinem Träger, der weggehen will, gefangen und gefoltert wird und dann doch freikommt. Ein Schlüssel erzählt von seiner Besitzerin, die zurückkehrt, hilft und bleibt. Die Geschichten über die Menschen sind teilweise miteinander verwoben. Die Menschen tauchen im Blick der je anderen Gegenstände und ihrer Geschichten wieder auf.
Wie kann man vom Krieg erzählen, wenn die Stimme versagt?
Oft hatte ich einen Kloß im Hals. Denn obwohl nicht alles auserzählt wird, finden die Gegenstände eine knappe und doch berührende Sprache. Ihre Beobachtungen berichten sie klar und finden zugleich poetische Bilder: „Wenn es ganz still war, hörte ich das Lachen der Vergangenheit, das zwischen den Wänden einbetoniert wurde. Das war es, was sie hier versteckten.“ (S. 118) Als Lesende sind wir gefordert, diese Bilder im Inneren zu sehen. Wir sind gefordert, auszuhalten, was diese Gegenstände beobachten und selbst zu fühlen, was das für die Menschen bedeutet. Das ganze Ausmaß zu begreifen, mag schwer fallen. Aber die Gegenstände bringen uns das Erleben einzelner Menschen nahe – Menschen, die ihr Zuhause verloren, die ihre Heimat verlassen mussten und Menschen, die dennoch blieben und unter Gefahren anderen Menschen helfen. „Die Stadt war in einem Bild gefangen, auf dem die Häuser und Menschen jedoch nach und nach verschwanden.“ (S. 119)
Und wir können von diesem Büchlein als Schreibende etwas lernen: Es gibt Ereignisse, die schwer in Worte zu fassen sind, Eindrücke, die schwer zu beschreiben sind. Hier kann es helfen, die Perspektive bewusst zu verändern, herauszutreten aus der eigenen Wahrnehmung. Gegenstände können stattdessen aus ihrer Beobachterperspektive berichten und erzählen. Wir können Gegenstände bewusst als Erzähler einsetzen, denn das Erzählen ist so wichtig gegen das Vergessen.
Luna Al-Mousli: Um mich herum Geschichten
(Roman, erschienen 2022 bei Edition W)
Website der Autorin: Luna Al-Mousli
Das Buch beim Verlag: finden Sie hier
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