
Eine Parabel auf die Leidenschaft.
Warum schreibt Patti Smith? Dieses Buch ist ein besonderer und irgendwie auch merkwürdig punkiger Band der Reihe „Why I Write“ der Yale University Press. In ihrem Band führt uns Patti Smith beispielhaft vor, wie sie von eigenen Eindrücken, Erinnerungen und Lektüren – hier während einer Lesereise – zu ihren Motiven und Stoffen kommt und wie sich diese verzwirbeln zu Texten – hier zu einer Erzählung mit dem Titel „Hingabe“. In diesem Büchlein finden sich sowohl jene Erzählung „Hingabe“ als auch rahmend jene Eindrücke und die Arbeit, die in diese Geschichte geflossen sind. Poetisch reflektiert sie, warum sie schreibt. Durch und durch Künstlerin hat sich Patti Smith nicht nehmen lassen, jene Eindrücke auch fotografisch zu vermitteln sowie ihr handschriftliches Manuskript abzubilden.
Dieses Buch kann Lesenden und Schreibenden, ach eigentlich allen kreativen Menschen ganz viel geben. Es verlangt ihnen bei der Lektüre aber auch einiges an Geduld ab. Man muss sich darauf einlassen und Stück für Stück setzt sich ein umfassendes Bild zusammen. So auch in dieser Besprechung hier – ich versuche ein Bild meiner Leseeindrücke und Gedanken zusammenzusetzen.
Aber von vorn.
In einem Video über kurze Bücher zum Erreichen des Leseziels des Jahrs 2024 (voll erwischt) bin ich aufmerksam geworden auf jenen Band. Die Leserin im Video schwärmte davon, wie wir hier einen Einblick in das kreative Schaffen dieser Punk-Ikone bekommen, einer Frau, die Gedichte und Songs auf die Bühne bringt, Lyrik und autobiographische Text schreibt, die fotografiert, malt, sich positioniert. Im Herbst tourt die inzwischen 78 jährige Patti Smith noch durch Europa. Eindrücke von ihren Deutschlandkonzerten vom Konzertpublikum in Rezensionen und Videos erzählen von beeindruckenden Abenden.
Der Rahmen
Dieser Band enthält 4 Teile. Beim Lesen, das muss ich zugeben, war ich zunächst verwirrt und dann verärgert. Zunächst folgt man im 1. Teil unter dem Titel „Wie der Verstand funktioniert“ der Autorin auf eine Lesereise nach Frankreich. Ich lese, wie ein Filmtrailer sie beschäftigt, Bücher verschiedener Autoren, eine Biografie, Café-Besuche, bestimmte Orte, Begegnungen und Erinnerungen… Hier komme ich der Autorin und ihrer Stimmung sehr nahe. Ungeduldig fragte ich mich aber, was mir das über ihr Schreiben sagen sollte.
Die Parabel über Hingabe und Kreativität
Es folgt der 2. Teil, die Kurzgeschichte „Hingabe“, die erste fiktionale Erzählung der Godmother of Punk. In ihr fließen all diese Eindrücke aus dem aktuellen Erleben der Autorin ein, von denen ich zuvor lesen durfte. Verärgert hat mich diese Geschichte selbst, weil ich sie inhaltlich nicht richtig verstand. Als Leserin beobachte ich, wie eine junge Eiskunstläuferin tanzend auf einem See im Wald von einem älteren Mann beobachtet wird. Fasziniert von ihr, spricht er sie an und es entwickelt sich eine seltsame Liebesbeziehung – zwischen einer Minderjährigen und einem älteren Mann. Meine Gefühle zu diesem Lesemoment kann ich kaum in Worte fassen. Ich war angeekelt, abgestoßen, entsetzt von dieser Beziehung voll Macht und stiller Gewalt. Der Mann bringt das Mädchen zu einer Eiskunstlauf-Trainerin, die klassisches, hartes Training und Wettkämpfe als erstrebenswert betrachtet. Beide, der Mann und die Trainerin, wollen Einfluss darauf nehmen, ob und wie das Mädchen seine Leidenschaft fürs Eiskunstlaufen ausleben kann. Wie diese Geschichte endet, werde ich nicht verraten – nur so viel: die beiden beeinflussen letztlich nicht ihre Hingabe.
Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass diese Geschichte als Parabel gelesen werden muss. Dass diese Geschichte selbst eine einzige große Metapher auf die Hingabe, auf Kreativität ist. Die Eiskunstläuferin mit all ihrer Hingabe für das Eiskunstlaufen kann durch jede Art von Künstlerin ausgetauscht werden: einer Schriftstellerin, einer Leserin, einer Malerin, einer Tänzerin, … Vielleicht sogar einer Unternehmerin, einer Politikerin,… die mit Hingabe ihren Passionen folgt. So gelesen, erzählt diese kurze Geschichte genau davon, wie natürlich so eine Hingabe zu einem kreativen Leben ist und wie bedroht sie durch äußere Einflüsse, Erwartungen, Regeln, Wettbewerb und Markt sein kann.
Der Rahmen
Im Anschluss finden wir als 3. Teil unter „Ein Traum ist kein Traum“ Smith’ explizite Gedanken über das Schreiben. Markiert habe ich mir unter anderem folgende Aussagen:
„Warum fühlt man sich zum Schreiben berufen? Um sich abzusetzen, einzuspinnen, versunken in Einsamkeit, trotz der Bedürfnisse anderer.“ (S. 113) Schreiben ist also eine legitime Möglichkeit, um mit sich allein zu sein.
„Warum schreiben wir? Ein Chor explodiert. Weil wir nicht nur dahinleben können.“ (S 120)
Und ganz zuletzt sehen wir als 4. Teil unter „Written on a Train“ Fotos des Originalmanuskripts, handgeschriebene Seiten der Geschichte.
Mein Fazit:
Dieses schmale, in glänzendes Leinen gebundene Buch mit stilvoll gestaltetem Schutzumschlag (ein bisschen Understatement) ist ein Gesamtkunstwerk, enthält es neben der poetischen, essayistischen, tagebuchartigen Rahmung und der Erzählung selbst auch schwarz-weiß Fotografien von der Autorin, die sie als Person und Elemente der Texte zeigen, sowie Fotos des handgeschriebenen Manuskriptes. Man hält also eine Geschichte in den Händen samt ihrer Entstehungsgeschichte und Reflexion. Das ist mehr als die Antwort auf die Frage: Warum schreibt Patti Smith? Es ist ein kleines kreatives Päckchen, was Einblicke sowohl in den Prozess des Schreibens als auch inhaltlich in die Haltung der Autorin zum Schreiben bereithält. Es erzählt von ihrer Hingabe und ist für mich auf eine punkige Art inspirierend.
– Jana –
„Hingabe“ von Patti Smith
(144 Seiten, Veröffentlicht 2019 bei Kiepenheuer & Witsch, Übersetzung von Brigitte Jakobeit,
Original „Devotion“ 2017 bei Yale University Press in der Reihe „Why I Write“)
Hier geht’s zum Buch: „Hingabe“
Hier zur Website der Autorin: Patti Smith
Und hier zur Reihe: „Why I Write“
Anregungen zur Recherche über bedeutende Frauen:
Da wir uns in unserem Leben und auf dieser Website gern mit Frauenbiografien und mit dem biografischen Schreiben beschäftigen, möchten wir das Projekt FemBio unterstützen. Laut ihrer Selbstdarstellung wurde FemBio Frauen Biographieforschung e.V. durch Luise F. Pusch als Institut für Frauen-Biographieforschung in Hannover gegründet. Auf der Website können Biographien von bedeutenden Frauen unterschiedlicher Epochen und Länder aus feministischer Perspektive eingesehen werden. Feministisch meint hier, dass die Lebensumstände der Frauen explizit gemacht werden, dass wir hier auch erfahren, wenn sie „von Männern behindert, benachteiligt, mißbraucht, gequält oder gar ermordet wurden“ oder mit Frauen zusammenlebten.
- Hier ist der Eintrag über Patti Smith bei Fembio: https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/patti-smith/
Literaturempfehlung zum Thema Kreativität
Nach der Lektüre musste ich an „Big Magic“ von Elizabeth Gilbert denken. Das ist ein dickes inspirierendes Buch darüber, wie man Kreativität leben kann. Die Autorin zeigt ihre Haltung zum Schreiben, zu Disziplin, Inspiration. Okay, das ist wirklich sehr verkürzt dargestellt. Im Netz gibt es zahlreiche Besprechungen zu diesem Buch, unsere folgt später.
Hinterlasse einen Kommentar