Vom Verbinden durch Worte.
In diesem poetischen Jugendroman geht es um die Bedeutung von Worten und Poesie, es geht ums Erinnern und Bewahren.
Die jungen Protagonisten, Rahel und Henry, waren einmal beste Freunde. Als sie mit ihrer Familie ans Meer zieht und es ein kommunikatives Missgeschick zwischen den beiden gibt, bricht Rahel den Kontakt ab, die beiden entzweien sich. Und während Henry fortan eine on-off-Beziehung mit dem begehrtesten Mädchen der Klasse führte, erlebten Rahel und ihre Familie ein Unglück. Schließlich konnte Rahel dort am Meer nicht mehr bleiben und kehrte mit Trauer und einem vermasselten Schulabschluss in die alte Heimatstadt zurück. Ihre Tante vermittelte ihr einen Job, ausgerechnet im Antiquariat von Henrys Familie. Rahel soll die Briefbibliothek des Buchladens archivieren.
Hier nimmt die Geschichte Fahrt auf. Allerlei chaotische, aber auch lustige und liebevolle Situationen entstehen. Sie werden abwechselnd aus Henrys und Rahels Perspektive erzählt. Man kommt ihnen dadurch beim Lesen ganz nah und erlebt traurige Momente, komische Gespräche, beschämende, dramatische und schöne Szenen, kostbare Begegnungen. Alle Figuren haben hier ihre Eigenheiten, sie sind auf ihre ganz persönliche Weise liebenswert: Da ist Frederick, jener alte Kunde, der beharrlich nach einem bestimmten Buch sucht, da ist Rahels freiheitsliebende und reiselustige Tante Rose, Henrys zurückgezogene Schwester George, der schüchterne Martin, Rahels beste Freundin Lola, die mit ihrer Band Konzerte spielt, Henrys Eltern, die über die Zukunft des Ladens streiten …
Das besondere in diesem Roman ist die Idee der Briefbibliothek. Sie ist ein Schatz im Laden, ein Regal mit unverkäuflichen Büchern, in die Menschen Briefe hineinstecken, Markierungen und Notizen in den Büchern hinterlassen dürfen. Und so entsteht eine Art Bibliothek der Erinnerungen, ein kommunikativer, poetischer Raum – der allerdings selbst bewahrt werden muss.
Und dieser Raum öffnet sich auch für uns Lesende. Denn den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind eben solche Anmerkungen an Gedichten und Briefe. Wir erleben bei der Lektüre die tiefe Bedeutung, das tiefe Blau der Worte. Denn es wird erzählt, wie das Lesen von Gedichten die Protagonisten berührt, wie Menschen solche Momente miteinander teilen können. „Manchmal reicht die Wissenschaft nicht“, sagt er. „Manchmal braucht man die Dichter.“ (Seite 276) Wir lesen, wie man sich trotz Briefen verpassen kann und wie Briefe die Menschen wieder verbinden. Und es geht darum, Verbindung zu halten zu den Menschen, die gestorben sind. „Ihre Spuren sind verborgen, kleine Linien in Büchern.“ (Seite 203)
Das tiefe Blau der Worte von Cath Crowley
(Jugendroman, erschienen 2020 bei Carlsen, ab 14 Jahren, Übersetzung Claudia Feldmann)
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