Habe ich dir eigentlich schon dieses Buch vorgestellt?
Bei manchen Büchern scheint es Fügung zu sein, dass ich ihnen begegne. Bei dem Buch von Sibylle Berg „Habe ich dir eigentlich schon erzählt…“ waren es zwei Aspekte, die mich zu ihm führten:
1. Anfang März 2022 las ich das Buch Frauenliteratur (ja, das Wort Frauen ist durchgestrichen) von Nicole Seifert. Durch dieses Buch wurde ich mit der Frage konfrontiert, wie oft ich eigentlich Bücher von Schriftstellerinnen lese. Ehrlicherweise hatte ich mir davor kaum Gedanken darüber gemacht. Hab ich also gleich mal überlegt. In der Schule sah es da echt mau aus. Doch heute ist es gar nicht, naja, also könnte besser sein, aber immerhin sind da welche. Ich lese ziemlich gern Krimis und da haben mir die von Frauen schon immer besser fallen: Agatha Christie, Fred Vargas (ja Frau aus Frankreich), Donna Leon, Nina Ohlandt, Nele Neuhaus… Und Kinder- und Jugendbücher mag ich echt gern. Da haben wir dann Astrid Lindgren, Cornelia Funke, Kirsten Boie, Kerstin Gier, J.K. Rowling…
2. Unsere Gemeindebibliothek! Ich liebe Bibliotheken und durch meinen Wohnort habe ich die Möglichkeit, das volle Programm der Berliner Bibliotheken nutzen zu können. Und doch wandle ich gern durch die übersichtlichen Regale unserer kleinen Gemeindebibliothek.
Nun schaue ich also seit dem Buch von Nicole Seifert (das wir hier wohl auch unbedingt mal besprechen sollten) viel mehr nach Büchern von Frauen und habe mit Jana dazu auch eine Liste angelegt mit Büchern, die wir lesen wollen. Darum habe ich also ein paar Namen im Kopf, als ich durch die Regale der kleinen Bibliothek stöbere und freue mich, als ich auf Sibylle Berg stoße. Nun ist es mit der kleinen übersichtlichen Bibliothek so, dass ich mich sehr freue, auf bestimmte Autorinnen überhaupt zu treffen, doch nicht immer finde ich dabei das Buch, das ich eigentlich lesen wollte. Bei Frau Berg ist es das Buch mit dem wundervollen Titel „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“. Tja, das gibt es leider nicht. Aber „Habe ich dir eigentlich schon erzählt… – ein Märchen für alle.“ Ja klar, das nehme ich. Märchen!
Habe ich dir eigentlich schon erzählt, warum Bibliotheken so wunderbar sind?
Das Tolle an den Bibliotheken ist, dass man ein Buch einfach mal riskieren kann. Also man nimmt es mit, fängt an zu lesen und wenn es nicht gefällt, dann macht man von seinem Recht Gebrauch, „ein Buch abzubrechen“ und zwar einfach so. Seien wir doch mal ehrlich. Wenn wir ein Buch kaufen, dann fühlen wir uns viel eher verpflichtet, es auch auszulesen. Es ist ja bezahlt und wohnt nun bei uns. Und dann steht es da im Regal und guckt uns an mit einem vorwurfsvollen Blick: „Wolltest du mich nicht längst schon ausgelesen haben? Warum hast du mich überhaupt gekauft, wenn ich hier verstaube?“ Ein Buch aus der Bibliothek ist aber nur zu Gast bei uns. Und unliebsame Gäste will man schnell loswerden. Das ist auch okay, denn dann können sie woanders Gast sein und die Gastgeber freuen sich dann vielleicht. Doch ich schweife ab. Ist aber gut so. Denn das Mädchen in der Geschichte macht das auch gerne mal. Abschweifen.
Habe ich dir eigentlich schon erzählt, worum es in dem Buch geht?
Zwei Teenager – Anna und Max – 13 Jahre jung – leben in der DDR und finden das nur semi-gut. Eigentlich überhaupt nicht. Sie finden es grau und trist und überaus langweilig. Es gibt ja nicht so viel. Beide haben keine Freunde. Damit tun sie sich schwer. Sie merken, dass sie da Probleme haben und irgendwie für andere nicht so dufte sind. Im Buch erzählen die beiden abwechselnd von ihrem Leben. So lernen wir sie kennen, denn sie selbst kennen sich noch nicht, obwohl sie im selben Haus leben – also im selben Mehrfamilienhaus. (Hm, finde ich ja komisch. Wir waren so `ne Hausgemeinschaft und kannten uns – also in meiner Erinnerung – und naja, die war wohl irgendwie auch erzwungen, so meine Mutter. Aber bei Jana war das auch nicht so mit alle kennen. War eben doch nicht alles gleich in der DDR.) Das könnte daran liegen, dass ihre Eltern auch nicht so einfach sind. Genau genommen jeweils ihr eines Elternteil. Denn Anna lebt nur mit ihrer Mutter zusammen und die fällt ab und zu mal um. Und Max lebt mit seinem Vater, der nicht viel sagt.
Habe ich dir eigentlich schon erzählt, wo die Geschichte richtig spannend wird?
Eines Tages fällt Annas Mutter vor ihrem Haus um. Also sie ist betrunken, um das mal deutlich zu sagen. Und Max findet sie. Er weiß, dass die Frau in seinem Haus wohnt und bringt sie nach oben. Da trifft er dann Anna und hilft ihr die Mutter ins Bett zu legen. Danach will er nicht mehr gehen. Irgendwie ist es zwischen den beiden leicht, obwohl sie sich sonst mit anderen Menschen so schwer tun. Und weil sie beide ihr Leben nicht prickelnd finden, beschließen sie abzuhauen, raus aus der DDR – über Polen, Ungarn, übers Meer und dann irgendwie nach Italien oder Holland. Da sind sie sich noch nicht einig. Von Italien hat Anna einfach noch keine richtige Vorstellung. Und so beginnt ihr abenteuerlicher Roadtrip. Unterwegs erleben Anna und Max allerhand Skurriles, was auch an ein dunkles Märchen erinnert: Sie müssen sich aus Gefangenschaft befreien, durch einen Wald irren, überlegen, in welchem Haus sie sicher sind… Dabei erleben sie neue Gefühle von Zuneigung, Freundschaft und Liebe.
Habe ich dir eigentlich schon erzählt, warum ich das Buch mag?
Erzählt wird die Geschichte das ganze Buch über aus den zwei Perspektiven von Anna und Max. Immer abwechselnd erfahren wir, was die beiden denken und dabei erleben wir viele Szenen unterschiedlich bzw. mit den verschiedenen Eindrücken der beiden. Was auch ziemlich lustig rüberkommt.
Sibylle Berg verwendet einen pointierten Witz, eine freche und schlagfertige Sprache, sie ist bissig und das gefällt mir, weil es auch einfach herrlich zu den beiden Teenies passt. Und dann tauchen dort so Sätze auf wie:
„Mittelgebirge ist, wenn ein Gebirge zu feige ist zu wachsen, aber auch zu feige, um eine Ebene zu sein.“ (Max, S. 39)
„Es gibt diesen Wettbewerb, wer baut das schrecklichste Gebäude. Auf die Art ist der Palast der Republik in Berlin entstanden (…).“ (Anna, S. 41)
Anna betrachtet eine Frau und denkt: „Sie wirkt sehr vertrocknet, wie eine Art Gemüse. Also, Gemüse im DDR-Gemüseladen.“ (S. 70f.)
An Frau Bergs Zuschreibungen zur DDR kann man sich durchaus stoßen, muss man aber nicht, hat man auch keine blauen Flecke. Mich zieht tatsächlich der Hintergrund DDR an diesem Buch an. Stamme ja selbst aus der Ecke, also Osten. Bis zum Teenie habe ich es dort nicht geschafft. „Die Kinder spielen normale Kindersachen, solange sie klein sind, und fangen an sich zu langweilen, sowie sie in die Schule kommen.“ So Anna über die DDR (S. 20). Die erste Klasse habe ich noch erlebt, aber das war noch aufregend – Altpapier sammeln, blaues Halstuch bekommen, Jungpionier sein. Die Langeweile kann ich also nicht offiziell bestätigen. Tristesse auch nicht. Frau Berg irgendwie schon. Sie wurde 1962 in Weimar geboren und lebte auch bis Mitte der 1980er Jahre in der DDR.
Habe ich dir eigentlich schon erzählt, warum ich immer diese Überschriften nehme?
Weil Anna es auch tut. 🙂
Tue es doch auch! Um deine Geschichte voranzubringen.
Sibylle Berg: Habe ich dir eigentlich schon erzählt… – Ein Märchen für alle
(Roman erschienen 2006 in 2. Auflage bei Kiepenheuer & Witsch, mit Zeichnungen und Collagen von Rita Ackermann und Andro Wekua)
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