
Die Poesie der Schneeflocken.
Wusstest du, dass es keine zwei gleichen Schneeflocken gibt? Wie soll das bewiesen werden? Oder hat es gar jemand bewiesen?
Diese Fragen stellten wir uns während eines Familientreffens und einen Tag später entdeckte ich in meinem Lieblingsbuchladen, dem Leseladen, ein Buch voll mit Fotografien von Schneeflocken. Ich war davon fasziniert und erzählte der befreundeten Buchhändlerin von unseren Fragen. Und sie wiederum erklärte: Das Buch, das ich gefunden hatte, enthält eine große Auswahl an Schneeflocken-Fotos, die Wilson A. Bentley seit 1885 gemacht hatte. Das war seinerzeit sogar ausgenommen schwierig, denn er hatte nur Tageslicht, ein Mikroskop, eine Kamera und die begrenzte Zeit, bevor eine Schneeflocke schmilzt. Fasziniert von der Schönheit im Kleinen legte Wilson A. Bentley über 40 Jahre lang eine riesige Sammlung solcher Fotos an. Insgesamt waren es über 5300. Und dadurch bemerkte er schließlich, dass sich auf diesen Fotos wirklich keine Schneeflocken glichen. Sie hatten aber eine Gemeinsamkeit: alle waren sechseckig. Die Sammlung hatte er einem wissenschaftlichen Institut übergeben, Artikel geschrieben und letztlich sogar spät noch Anerkennung dafür erhalten. Profit wollte er aber keinen daraus ziehen. So blieben die Bilder urheberrechtsfrei und können in Büchern wie diesen hier veröffentlich werden.
Während unseres Gespräches zauberte meine Buchhändlerin ein Bilderbuch aus dem Schaufenster hervor: „Der Schneeflockensammler“. Robert Schneider (Text) und Linda Wolfsgruber (Illustrationen) erzählen kunstvoll die Geschichte des jungen Wilson A. Bentley.
Ganz zum Leidwesen seines Vaters verbrachte der junge Wilson viel Zeit damit, seine Umwelt zu beobachten, anstatt tatkräftig auf der Farm der Familie mit anzupacken. Schon als kleiner Junge war er fasziniert von der Ähnlichkeit der Formen von Blättern und Bäumen, von den Mustern auf Steinen und legte geheime Sammlungen an, um die Dinge später genauer zu betrachten. Als er schließlich die geheimnisvolle Schönheit der Schneekristalle entdeckte, stand er vor der herausfordernden Frage, wie er diese zarten vergänglichen Objekte der Sammlung hinzufügen könnte. Wie er das löste und welche Rolle dabei seine Eltern spielten und wie sie sich verändern, davon erzählt dieses Buch.
Es spiegelt die leise Poesie der Schneeflocken und die Behutsamkeit jenes jungen Mannes beim Wahrnehmen der Natur wider. Und es lädt uns ein, uns von dieser Geschichte berühren zu lassen und die Seiten aufmerksam zu betrachten. Denn die Bilder nehmen die Stimmung des Textes auf und erzählen die Geschichte weiter. Immer wieder finden wir eingestreut seine Fotografien von Schneeflocken. Man erkennt sie nicht auf den ersten Blick als jene Fotos, weil sie nicht nur das Vorsatzpapier schmücken, sondern auch kunstvoll in die Textseiten eingestreut und im Mittelpunkt eines der Bilder sind. Collage-artig fügen sich die Menschen in die weiß-blauen Landschaften ein. Mit wenigen Strichen wird die Aufmerksamkeit beim Betrachten auf Details gelenkt und Wilson mit seiner Apparatur gezeigt. Immer wieder kann man dieses poetische Buch öffnen und darin Neues entdecken, wenn man sich das erlaubt. So wie Wilson es selbst sein Leben lang in der Natur getan hat.
Das Buch erzählt darum auch davon, an sich und die eigenen Werte und Träume zu glauben, demütig und geduldig zu sein. Es erzählt davon, wie nahe Menschen mit einem umgehen und sich selbst verändern, wenn man irgendwie anders ist. Es erzählt vom Staunen, von den kleinen Wundern in dieser großen Welt, sie erzählen von Neugier, Innehalten und Hinsehen.
Als Schreibende können wir uns von Wilson A. Bentley, aber auch von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber inspirieren lassen. Sie zeigen uns, wie wichtig es ist es, genau hinzuschauen, nicht zu werten, offen zu sein für Entdeckungen, für die Schönheit in alltäglichen Momenten. Und deshalb fokussieren wir uns im Blogpost dieses Februars auf das Wahrnehmen und Bewahren in kleinen poetischen Texten. Der Haiku-Monat Februar ist wie eine Einladung, täglich achtsam durchs Leben zu gehen und besondere Momente und Entdeckungen in 17-Silben-Poesie zu sammeln.
Robert Schneider (Text) und Linda Wolfsgruber (Illustrationen): „Der Schneeflockensammler“
(Bilderbuch, veröffentlicht 2020 bei Jungbrunnen)
Buch beim Verlag
Website von: Linda Wolfsgruber
Mehr über Wilson Alwyn Bentley
Wilson Alwyn Bentley verstarb recht jung an einer Lungenentzündung, die er sich vermutlich bei seinen Fotografie-Arbeiten zugezogen hatte. In seiner Heimat wurde ein Museum errichtet, das zeigt, wie er gearbeitet hat. Darüber gibt es online sogar Videomaterial, z.B. hier: „Snowflake mysteries unlocked by photographer“ von CBS News und hier „03/14/23 The Life and Legacy of “Snowflake” Bentley“ von Across the Fence (Produziert von der University of Vermont Extension)
In folgendem Blogbeitrag stellt die Autorin Wilson Alwyn Bentley mit Hintergrundinformationen und Schneeflockenfotos vor. Am Ende ihres Beitrag hat sie ihre Quellen inkl. des obigen Videos verlinkt: https://kwerfeldein.de/2021/11/11/wilson-bentley/
Der Autor Titus Müller hat sich seiner Geschichte ebenfalls angenommen und eine biografische Erzählung verfasst: „Der Schneekristallforscher“
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