schreibende Frauen – viele leider unbekannt.
Dichterinnen und Denkerinnen – Frauen, die TROTZDEM geschrieben haben
Schon mit dem Buchtitel schafft es die Autorin meine Aufmerksamkeit zu fesseln. Trotzdem haben die Frauen geschrieben? Trotz was? Was hielt die Frauen denn davon ab? Wogegen mussten sie sich stellen? Es hat etwas rebellisches an sich – hier zeigt sich Mut, sich nicht alles sagen und verbieten zu lassen. Mich hat das sofort neugierig gemacht.
Der Titel macht mich aber auch nachdenklich. Es macht klar, dass es für Frauen nicht selbstverständlich war, zu schreiben. Ihre Stimmen waren nicht zu hören. Oder so gut wie nicht. Und genau so steigt die Autorin in das Buch ein: „Wenn Sie an Ihren Deutschunterricht in der Schule denken: An wie viele Autorinnen, die sie gelesen haben, können Sie sich erinnern?“ (S. 7)
Mir fällt nur ein Werk ein: „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff. Vielleicht gab es da noch Gedichte von Frauen. Doch daran kann ich mich tatsächlich nicht mehr erinnern. Und so wie es mir geht, ging es Katharina Herrmann auch. Sie glaubte, dass es vor 1900 einfach nur Annette von Dorst-Hülshoff gegeben hätte. Bis sie realisierte: „Deutschland war immer auch ein Land der Dichterinnen und Denkerinnen. Sie sind nur irgendwann aus der Literaturgeschichte verschwunden, vor allem deswegen, weil es eben noch gar nicht so lange her ist, dass Frauen in der Öffentlichkeit deutlich weniger zu sagen hatten als Männer, weswegen sie nicht Teil der öffentlichen Erinnerungskultur wurden.“ (S. 7)
Aus diesem Grund stellt Katharina Herrmann in ihrem Buch 20 Frauen vor, die trotz schwieriger Umstände in ihrem Leben geschrieben haben. Dabei fiel ihre Wahl auf Frauen, die so bedeutend sind, dass sie in ihrem Buch nicht fehlen dürfen wie Else Lasker-Schüler oder Anna Seghers. Daneben holt sie Frauen wieder ans Licht, die heute fast vergessen sind: Caroline Auguste Fischer oder Rahel Varnhagen. Außerdem war es Katharina Herrmann wichtig, aus jeder Epoche der Literaturgeschichte eine Vertreterin zu portraitieren, „angefangen mit einem zentralen literaturgeschichtlichen Ereignis, mit Gottscheds Theaterreform, und endend mit Schriftstellerinnen, deren Wirken bis in die jüngste Vergangenheit der DDR und BRD hineinreicht.“ (S. 8)
Die 20 Frauen werden chronologisch nach den Geburtsdaten bzw. den Epochen vorgestellt – angefangen bei Luise Adelgunde Victoria Gottsched (1713 – 1762) bis hin zu Mascha Kaléko (1907 – 1975). Der Autorin gelingen einfühlsame Portraits, die nie ein Abarbeiten an der Biografie sind. Es beginnt nicht einfach bei der Geburt oder Herkunft. Jede Frau lernen wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens kennen. Und obwohl jedes Porträt allein gelesen werden kann und für sich steht, verwebt Katharina Herrmann die Frauen auch miteinander. Sie zeigt auf, welche Frauen in Beziehung zueinander standen oder welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede sie aufweisen. So beginnt das Kapitel zu Louise Aston mit der Feststellung, dass sie das Gegenteil von Annette von Droste-Hülshoff war. Louise Aston war eine Frau, die für Frauenrechte und freie Liebe kämpfte und sich in Männerkleidung auf den Straßen von Berlin zeigt. Sie stand auf der Seite des Vormärz im 19. Jahrhundert, eine gesellschaftliche Entwicklung, die Annette von Droste-Hülshoff für gefährlich hielt. Zwei Schriftstellerinnen, die sich in den 1930er Jahren tatsächlich kennengelernt hatten, waren Nelly Sachs und Gertrud Kolmar. Diese beide Frauen verband darüberhinaus ihre stille und doch tiefgründige Art, die sie laut Katharina Herrmann auch mit Karoline von Günderrode teilten.
In den Texten schafft Katharina Herrmann mit ihren Worten etwas, was ihr auch schon mit dem Titel gelungen ist: Sie macht neugierig und provoziert bislang. So beginnt das Kapitel über Johanna Schopenhauer mit einer Frage, die mich umgehauen und schmunzeln lassen hat: „Kennen Sie eigentlich Arthur Schopenhauer, den Sohn der berühmten Schriftstellerin Johanna Schopenhauer?“ (S. 34) Und auch bei Helene Böhlau lockt uns der Text mit Fragen hinein und gibt mit Antworten ein kleines Versprechen auf ein Abenteuer: „Wie weit ist man zu gehen bereit für ein erfülltes Leben? Für die große Liebe? Helene Böhlau ging weit: Über Grenzen hinweg, die ihr gesetzt wurden – auch über ihre eigenen. Sie ging sogar bis nach Konstantinopel und zurück.“ … (S. 96)
Ein Highlight des Buches sind für mich die Illustrationen. Jede Frau ist bildlich dargestellt mit Zeichnungen in kräftigen Farben. Die Illustratorin Tanja Kuschel charakterisiert die Frauen mit der Wahl der Farbe und der Hintergrundgestaltung und gibt uns so einen weiteren Eindruck der Frauen. Schon das Cover des Buches der Ausgabe zeigt die wundervolle Gestaltung des Buches.
Das Lesen des Buches war insgesamt ein herausfordernder Genuss. Indem sich Katharina Herrmann in ihren Texten immer wieder an die Leser*innen wendet, fordert sie diese heraus, sich den eigenen Annahmen über die Literaturlandschaft in Deutschland zu stellen und zu hinterfragen. In mir hat das Buch den Wunsch ausgelöst, meine Lektüre mehr auf Frauen auszurichten und mir bewusst Bücher von Frauen auszusuchen. Mein Blick in der Buchhandlung oder in der Bibliothek hat sich seit dem Lesen dieses Buches verändert. Und die Lektüre des Buches hat mich angeregt, das Buch meiner Freundin Jana zu schenken und darin ein Porträt über sie und ihr Schreiben zu verstecken.
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