
Für Gedichte braucht man Mut.
Selten lese ich Bücher, in denen die Hauptfigur sich für Mathe begeistert. Und schon ertappe ich mich bei einem eigenen Vorurteil. Denn auf dieses Buch wurde ich doch neugierig, weil die zweite Hauptfigur Gedichte schreibt. Und diese Spannung zwischen der ordnenden Mathematik und der beseelenden Dichtkunst hat mich durch das Buch getragen.
Aber von vorn: In dem Roman erzählt der fast 13-jährige Malte seine Geschichte, wie er erfährt, dass seine Familie nicht nur aus ihm und seinen Eltern besteht und er sich zum ersten Mal verliebt. Er erzählt, wie seine logische Ordnung durch bislang unbekannte Gefühle in Unordnung kommt.
Die Ordnung der Welt
Denn Malte ordnet sich sein Leben mit Mathe und Gewohnheiten. Denn: „Gewohnheiten sind wie Mathematik. Beide funktionieren immer, immer gleich.“ (S. 38) Aber dieses System gerät an seine Grenzen, als seine Gefühle durch äußere Veränderungen durcheinandergeraten. In seinem Safe-Space, dem Matheclub seiner Schule darf neuerdings Lale teilnehmen, eine richtig gute Schülerin der Nachbarschule. Malte ist hin- und hergerissen zwischen Konkurrenz und Verliebtheit. Gefühle, die er so bisher nicht kannte.
Wie seine Halbschwester Josefine, die kannte er auch nicht. Jetzt aber muss er spontan damit klarkommen, dass sie vorübergehend bei ihnen im Keller eingezogen ist. Aber so richtig scheint auch sie keine Lust auf diese Familie zu haben. Sie grummelt, schwänzt die Schule, macht Sport bei lauter Musik. Außerdem zieht sie sich komisch an und trägt ein Piercing.
Schmerzende Fragen
Für uns Lesende wird schnell klar, beide Kinder tragen ein großes Päckchen an Sorgen mit sich herum. Und beide Kinder lernen einander kennen und helfen sich schließlich. Besonders Josefine und ihre Mutter in der Krebs-Reha geben Malte ein paar Antworten über seine Familie. Die ganz doll schmerzende Frage aber, können ihm nur seine Eltern beantworten. Bis es dazu kommt, überstürzen sich allerhand Ereignisse und Missverständnisse und seine Teilnahme an der ersehnten Mathe-Olympiade gerät ins Wanken.
Gedichte und Mathe
Schließlich sind es Gedichte, die Malte dabei helfen, sich in der Welt zu begreifen und sich selbst auszudrücken. Es sind Gedichte von Rose Ausländer und Novalis, es sind Gedichte von Josefine und schließlich Maltes eigene Gedichte. Er lernt: Für Gedichte braucht man Mut. Und er merkt: Gedichte ermöglichen es ihm, Gefühle zu benennen, sie zuzulassen und zu ordnen. Und zugleich weisen sie doch eine Logik und mathematische Strukturen auf mit Reimen, Rhythmen und Strophen. Mathe und Gedichte, Logik und Gefühle können miteinander verschmelzen. Sie gehören gewissermaßen zusammen, so wie die beiden Halbgeschwister, die sich am Ende sogar in einem Gedicht treffen.
Fazit
Dieses Buch hat mich immer wieder mit Poesie überrascht. Wir können nicht nur die Gedichte der bekannten Autoren und die Gedichte Josefines und Maltes lesen. Die Erzählung selbst hält einige poetische Momente bereit, etwa wenn Malte von seinen „Nachtgedanken“ spricht (S. 35) oder mit poetischen Aussagen. Hier ist eine kleine Auswahl:
- „Sie sind zwar nicht meine Freunde, aber wir stehen in den Pausen meistens zusammen rum, und das ist auch nicht ganz unwichtig.“ (S. 21)
- „Ein Gedicht ist immer eine Art Zwiegespräch“ (S. 43)
- „Danach ist es wieder still und ich weiß, ich kann die Sache vergessen, Antworten hören sich anders an.“ (S. 116).
- „Ein Gedicht ist immer von einem selbst. Hörst du Brüderchen? Immer, ganz besonders, wenn es einem wichtig ist.“ (S. 221)
- Und selbst Maltes Lieblingszahl, die 8, ist poetisch, denn sie ist symmetrisch und damit auf eine Art stabil, verkörpert aber auch die Unendlichkeit. Die Poesie in Lales Begründung für ihre Lieblingszahl 11, musst du aber selber lesen (auf Seite 128). Dieser Moment in der Geschichte ist wirklich süß.
Empfehlung: „Achtung! Wer Gedichte liest, braucht Mumm.“ (S. 93)
Das Buch möchte ich empfehlen. Uneingeschränkt. Es lädt zum Diskutieren darüber ein, wer in einer Familienbeziehung wofür Verantwortung trägt. Ein Thema, das besonders Kinder und Jugendliche sehr beschäftigt. Außerdem kann man sich mit eigenen Vorurteilen beschäftigen, etwa darüber, was das Aussehen einer Person über ihre Liebenswürdigkeit und ihre Gefühle aussagen mag.
Es lädt aber auch dazu ein, die Sprache selbst wahrzunehmen, die Gegensätze und die Verbindung von Mathematik und Poesie zu erspüren. Die Geschichte zeigt, wie unterschiedlich sich Menschen die Welt erklären und was ihnen Sicherheit und Geborgenheit gibt, worin sie ihren persönlichen Ausdruck finden.
– Jana –
„Schön wie die Acht“ von Nikola Huppertz
(Kinderroman, 2021 veröffentlicht bei Tulipan Verlag, 2024 als Taschenbuch bei Gulliver, Verlagsgruppe Beltz)
Hier gelangst du zum Roman beim Verlag: Schön wie die Acht
Hier kommst du zur Website der Autorin: Nikola Huppertz
Hier geht es zur Website der Illustratorin: Barbara Jung
Romane, Ratgeber und Studie, wie Schreiben guttut:
Darüber, wie Poesie gut tut, wurde schon allerhand geschrieben. Hier ein paar Empfehlungen:
- Ein Roman, in dem ein 13jähriges Mädchen die Magie des Schreibens und Dichtens für sich entdeckt: „Sonnengelb und Tintenblau. Oder: Der Sommer, in dem ich zu schreiben begann“ von Barbara Zoschke
- Ein Roman, in dem eine 17jährige Protagonistin Zines schreibt, um ihre Gefühle zu sortieren und Erlebtes zu verarbeiten: „Wenn Worte meine Waffe wären“ von Kristina Aamand
- Noch ein Roman mit einer jungen Frau, die entdeckt, dass ihr Gedichte und Poetry Slams gut tun, besonders um mit ihrer Vergangenheit fertig zu werden: „Ich treffe dich zwischen den Zeilen“ von Stephanie Butland
- Ein Ratgeber mit Schreibanregungen, die gut tun: „Selbstwirksam schreiben. Wege aus der Rat- und Rastlosigkeit“ von Carmen C. Unterholzer.
- Eine wissenschaftliche Erklärung, warum Gedichte so gut tun: „Poesie ist Lebenstanz. Warum es sich lohnt, Gedichte zu schreiben“ von Ramona Jakob
Blogpost mit Anregungen für wohltuendes Schreiben:
Unsere Blogposts mit Anregungen für persönliches Schreiben, um sich kreativ auszudrücken und wohlwollend zu sich selbst zu sein:
- „Die heilsame Langsamkeit des Schreibens“
- „Nutze die Kraft des Schreibens“
- „Kreative Selbstliebe“
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